"Betteln und Hausieren"

"Betteln und Hausieren"

Podcast - Brunners Welt | 15.09.2017 | Dauer: 00:03:50 | SR 2 - Peter Tiefenbrunner

Themen

Nicht dass Sie denken, ich wüsste nicht zu schätzen, wenn Politiker sich um die Nöte der Bürger kümmerten. Schön also, wenn Frau Britz, Oberbürgermeisterin unserer schönen Landeshauptstadt, ein offenes Ohr für Beschwerden hat. „Sehr viele“, berichtet die Stadtmutter, habe sie in letzter Zeit bekommen, in denen geklagt wird: „An jeder Ecke sitzt ein Bettler, man kann gar nicht mehr in Ruhe einkaufen gehen!“ Da muss etwas geschehen! „Unsere Stadt ist schön“, sagt die aufgeschreckte Oberbürgermeisterin. „Das soll auch so bleiben.“ Ja freilich, ja bitte! Offenbar sind Horden von zerlumpten Gestalten über Saarbrückens Innenstadt hergefallen und verwehren dem konsumwilligen Bürger mit gierig vorgestrecktem Sammelbecher den Zutritt zu den Tempeln des Wohlstands. „An jeder Ecke“? Das müssen angesichts des beschriebenen Areals mindestens... 100 Bettler sein. Geschätzt, in Ermangelung einer belastbaren Eckenstatistik für unsere kleine Großstadt. Eine Invasion. Die Zahl hat zugenommen, sagt die Stadt. Die Polizei weiß Genaueres: Acht bis zehn Armutsbettler seien das aktuell und ein bis zwei Gruppen Punks. Auch die Invasionen sind halt in unserem Ländchen ein bisschen kleiner als anderswo. Aber Großes entsteht ja bekanntlich immer im Kleinen, also ist schon mal die Empörung groß: „Passanten, Gewerbetreibende und Anwohner“ fühlen sich belästigt! Und „mit Blick auf den Tourismus und das steigende Sicherheitsbedürfnis“ könne die Stadt da nicht tatenlos bleiben. Was um alles in der Welt treiben diese zwei Handvoll Menschen auf den Straßen unserer Stadt? Fallen Sie die Vorübereilenden an, krallen Sie sich in die Haute Couture der Passantinnen und verlangen lauthals eine Zuwendung? Das alles wäre übrigens schon seit langem verboten. Aber nein, ganze 25 Beschwerden sind in diesem Jahr bei der Polizei eingegangen, und die meist nur, weil die Bettelnden in privaten Haus- oder Geschäftseingängen saßen oder auf Supermarkt-Parkplätzen Kunden ansprachen. Wie putzig. Da müsste man ja beinahe noch ein paar Bettler und Punks importieren, damit wenigstens ein bisschen Großtadtfeeling aufkommen könnte! Wer den Anblick von Armut, Obdachlosigkeit oder sonstigem Elend so gar nicht ertragen kann, sollte sich vielleicht hinter die Mauern seines Anwesens zurückziehen und den Butler zum Einkaufen schicken? Denn die Stadt ist nunmal ein öffentlicher Raum und gehört allen. Und Armut verschwindet nicht, wenn man sie nicht mehr sieht. Müsste nicht eine Oberbürgermeisterin genug Rückgrat haben, um diesen Beschwerdeführern einfach zu sagen: Das müsst ihr aushalten? Ebenso wie Behinderte im teuer gebuchten Urlaubshotel oder Kindergeschrei vom benachbarten Spielplatz. Oder die Rentner, die eure weggeworfenen Pfandflaschen aus den Mülleimern wühlen, um sich ein bisschen was dazu zu verdienen. Im Übrigen seien all die braven Christen daran erinnert, dass sie bald wieder mit ihren Kindern laternenschwenkend zu Ehren eines Heiligen durch die Straßen ziehen werden, dessen Großtat darin bestand, einem Bettler seinen halben Mantel zu spendieren. Ganz abgesehen von den christlichen Bettelorden, denen es gottgefällig schien, ohne Besitz nur von Almosen zu leben.Meine Nachbarin Barscheck findet im übrigen, dass die Stadt deutlich an Schönheit und Lebensqualität gewinnen würde, gäbe es endlich vernünftigen Nahverkehr, Fahrradwege, die nicht plötzlich im Verkehrsstrom enden und günstige Parkflächen. Und die Müllabfuhr müsste auch nicht schon morgens um Viertel vor Sieben durch unsere Straße klappern. Soviel zu den kleinen Nöten.

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